I. Ordnungswidrigkeiten

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1. Was ist ein standardisiertes Messverfahren?

Die Geschwindigkeit kann mit verschiedenen Messgeräten ermittelt werden. Meist handelt es sich dabei um standardisierte Messverfahren, so dass im Urteil lediglich die Angabe des Messverfahrens und des berücksichtigten Toleranzwertes notwendig sind (BGH Beschluss v. 19.08.1993, Az.: 4 StR 627/92). Standardisierte Messverfahren sind durch Normen vereinheitlichte (technische) Verfahren, bei denen die Bedingungen ihrer Anwendbarkeit und ihrer Abläufe so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGH, Beschluss v. 30.10. 1997, Az.: 4 StR 24/97). Die Aufgabe eines Verteidigers in einen Ordnungswidrigkeitsverfahren beschränkt sich nicht auf die Prüfung, ob eine Ordnungswidrigkeit bereits verjährt ist und der Fahrer identifiziert werden kann. Vielmehr können sich nach der erfolgten Akteneinsicht und gegebenenfalls im Rahmen einer mündlichen Verhandlung Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung ergeben, die der Bußgeldbehörde oder dem Gericht aufgezeigt werden müssen. Das Gericht muss dann die Geschwindigkeitsmessung näher überprüfen, höhere Toleranzabzüge vornehmen oder ein Gutachten einholen.

2. Welche Fehler können zum Beispiel bei der Anwendung des Messgerätes Traffipax Speedophot auftreten?

Radarmessungen, z.B. mittels dem Messgerät Traffipax Speedophot gehören zu den standardisierten Messverfahren. Die Geräte müssen aber geeicht, richtig aufgestellt und bedient werden. Meist muss das Fahrzeug in einem bestimmten Winkel den Radarstrahl durchfahren. Keine zuverlässige Messung könnte sich daher bei Aufstellung des Messgerätes (Traffipax Speedophot) am Kurvenaußenrand ergeben (AG Rostock DAR 2005, 650). Im Rahmen der Akteneinsicht lässt sich klären, ob das Messgerät geeicht war und die Bedienung des Gerätes von einem geschulten Beamten erfolgte. Wichtig ist, dass die Messung auch entsprechend der Bedienungsanleitung des Herstellers durchgeführt wurde. Aus dem Messprotokoll oder eine Zeugenbefragung kann sich aber ergeben, dass das Messgerät nicht entsprechend den Vorgaben des Herstellers aufgestellt und bedient wurde. Ziel der Verteidigung kann es dann sein, auf eine mögliche Einstellung des Verfahrens hinzuwirken. Sollte eine Schrägfahrt zu einer Messwinkelabweichung führen, kann dies einen weiteren Abzug bei der Berechnung der vorgeworfenen Geschwindigkeit begründen.

3. Sind Messergebnisse mit dem Messgerät ESO ES 3.0 verwertbar?

Dieses Messgerät misst mittels Einseitensensoren die Geschwindigkeit des betroffenen Fahrzeugs. Es handelt sich um ein standardisiertes Messverfahren (OLG Koblenz, Beschluss v. 16.10.2009, Az.: 1 SsRs 71/09). Nach einer erfolgten Akteneinsicht können sich für die Verteidigung Angriffspunkte hinsichtlich der notwendigen Fotolinie ergeben. Diese soll sicherstellen, dass der gemessene Geschwindigkeitswert auch dem abgebildeten Fahrzeug zuzuordnen ist. Eine unzulängliche Dokumentation der Fotolinie soll nach Auffassung des Amtsgericht Lübben zur Unverwertbarkeit des Messergebnisses führen (AG Lübben, Beschluss v. 16.03.2010, Az.: 40 Owi 1321 Js 2018/10). Im Rahmen der Akteneinsicht kann auch geprüft werden, ob die Schulungsnachweise der Messbeamten vorliegen.

Verschiedene Amtsgerichte halten die Messungen mit diesem Gerät für unverwertbar, da der Hersteller die genaue Funktionsweise nicht preisgibt (AG Kaiserslautern Urt. v. 14.03.2012, Az.: 6270 JS 9747/11.1; AG Landstuhl, Urt. v. 03.05.2012, Az.: 4286 Js 12300/10). Nach Auffassung des OLG Zweibrücken begründet die fehlende Kenntnis der genauen Funktionsweise des Messgerätes jedoch keine Unverwertbarkeit (OLG Zweibrücken, Beschluss v. 22.10.2012, Az. 1 SsBS 12/12).

4. Sind Messungen mit dem Messgerät Laveg VL 101 immer standardisierte Messverfahren?

Bei einer Lasermessung muss der Laserstrahl während der gesamten Messung auf dieselbe Fahrzeugstelle senkrecht auftreffen. Erfolgt die Geschwindigkeitsmessung in Bezug auf ein Motorrad, außerhalb des Messbereiches von 30 bis 150 m handelt es sich nicht um eine standardisierte Messmethode (KG, Beschl. v. 23.03.2011 - 3 Ws (B) 650/10). Bei einigen Geschwindigkeitsmessungen, bei denen kein Foto des betroffenen Fahrzeuges gefertigt wird, beruht der Vorwurf, eine Ordnungswidrigkeit begangen zu haben allein auf den Angaben der Messbeamten. Wenn der Betroffene unmittelbar nach der Messung angehalten wird, erfolgt meist eine erste Vernehmung, dem Fahrzeugführer wird ein Bußgeldverfahren gegen ihn angekündigt. Wenn die Verwaltungsbehörde dann auch noch einen Anhörungsbogen schickt, kommt der Bußgeldbescheid unter Umständen zu spät, da nur die erste Vernehmung die Verjährung unterbrochen hat.

5. Müssen die Koaxialkabel beim Traffiphot S regelmäßig überprüft werden?

Bei diesen Geschwindigkeitsmessungen befinden sich in einem bestimmten Abstand Kabel quer zur Fahrtrichtung auf der Fahrbahn. Mittels der gemessenen Zeit, welches das gemessene Fahrzeug benötigte, um die bekannte Wegstrecke zwischen den Kabel zurückzulegen, kann dessen Geschwindigkeit ermittelt werden. Auch hier handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren. Da die Koaxialkabel hohen Belastungen ausgesetzt sind, müssen diese regelmäßig überprüft werden. Ohne eine solche Überprüfung muss zumindest ein weiterer Sicherheitsabschlag vorgenommen werden (vgl. OLG Hamm, Beschluss v. 24.01.2006, Az.: 3 Ss Owi 582/05). Bei der Verteidigung in Ordnungswidrigkeitsverfahren muss daher immer geprüft werden, ob die notwendigen Eichurkunden vorliegen. Wenn ein Messgerät nicht geeicht war, kann nicht mehr von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden. Das Gericht, welches dann nicht eine Einstellung des Verfahrens verfügt, muss die Messung dann näher überprüfen. Die Gültigkeit der Eichung der Geschwindigkeitsmessgeräte zur amtlichen Überwachung des Straßenverkehrs beträgt gemäß Anlage B der Eichordnung Ordnungsnr. 18. 3 ein Jahr, wobei die Gültigkeitsdauer gemäß § 12 Abs. 2 EichO mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem das Messgerät zuletzt geeicht wurde.

6. Wann kann von einem Fahrverbot abgesehen werden?

Wenn an der Ordnungsmäßigkeit der Messung und der Fahreridentifizierung keine Zweifel bestehen, konzentriert sich die Verteidigung auf die Angemessenheit der Geldbuße und prüft, ob gegebenenfalls von einem Fahrverbot abgesehen werden muss.

Von einem Fahrverbot kann abgesehen werden, wenn keine abstrakte Gefährdung vorlag. Dies ist zum Beispiel bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als 40 km/h auf einer gut ausgebauten Autobahn mit trockener Fahrbahn und einem geringen Verkehrsaufkommen angenommen worden (OLG Düsseldorf, NZV 1997,85). Gegen ein Fahrverbot kann auch sprechen, wenn dieses zu einer unbilligen Härte für den Betroffenen führen würde. Das OLG Dresden hat eine solche bei einem in Wechselschicht arbeitenden Betroffenen angenommen, dessen Arbeitsstelle 25 km entfernt und mit öffentlichen Verkehrsmtteln nicht zu erreichen war (OLG Dresden, DAR 1998,401). Ein Absehen vom Fahrverbot kann sich auch daraus ergeben, dass die Messung unmittelbar hinter dem Ortseingangschild erfolgte (OLG Dresden, Beschluss v. 27.08.2009; Az.: Ss OWi 410/09) oder aufgrund eines erheblichen Zeitablaufs (24 Monate) zwischen Begehung und Ahndung der Ordnungswidrigkeit (OLG Dresden Beschluss v. 18.12.2007, Az.: SS OWi 779/07).

7. Was kann passieren, wenn ich als Halter aufgrund eines Aussageverweigerungsrecht gegenüber der Bußgeldbehörde nicht angebe, wer der Fahrer gewesen ist, der eine Verkehrsordnungswidrigkeit begangen haben soll?

Wenn der betroffene Fahrzeugführer noch nicht bekannt ist, wird der Halter meist aufgefordert, diesen mitzuteilen. Ist der Halter auch der Fahrer gewesen, besteht keine Pflicht, seine Fahrereigenschaft einzuräumen. Häufig hat der Halter des Fahrzeuges auch ein Zeugnisverweigerungsrecht, da der Fahrer zum Beispiel der Vater oder Sohn des Halters ist.

Hier droht Ihnen, u.a. abhängig von der vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit die Auflage, ein Fahrtenbuch zu führen. Die Berufung auf ein Aussageverweigerungsrecht steht dem nicht entgegen. Eine Fahrtenbuchauflage soll gewährleisten, dass bei weiteren Verkehrsverstößen mit dem Fahrzeug die Feststellung des Fahrzeugführers erleichtert wird (SächsOVG, Beschluss v. 25.09.2012, Az. 3 B 215/1). Jede Fahrt mit dem Kraftfahrzeug muss im Fahrtenbuch eingetragen werden. Angeführt werden müssen vor dem Beginn jeder Fahrt Name, Vorname und Anschrift des Fahrzeugführers und nach deren Beendigung unverzüglich Datum und Uhrzeit mit Unterschrift. Es sollte daher immer überprüft werden, ob die fehlende Angabe des Fahrers zu einer Fahrtenbuchauflage führen kann. Die Fahrtenbuchauflage muss aber verhältnismäßig sein, so dass nicht jede Verkehrsordnungswidrigkeit eine solche rechtfertigt.

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